Die jüngste Mitgliederbefragung von Pro Rare Austria zum Thema „Problemlagen bei der Kostenerstattung für Arzneimittel, Therapien und Rehabilitation für seltene Erkrankungen“ (Stand: Jänner 2019, n = 28 seltene Erkrankungen) zeigt auf: Teure neue Therapien sind – jedenfalls derzeit noch – für viele Patienten ein Randthema, wenn es um den Zugang zu Therapie geht. Aktuell gibt es nämlich für über 95 Prozent der bekannten seltenen Erkrankungen keine Therapie und nur eine verschwindend geringe Anzahl an Personen hat überhaupt die Möglichkeit, auf hochpreisige Medikamente zu setzen. Tatsächlich stoßen Betroffene und Angehörige bereits in grundlegenderen Bereichen auf massive Hürden.
Wenden sich Hilfesuchende an eine Selbsthilfegruppe, so drehen sich die drei häufigsten Fragestellungen um die Arztwahl, bestehende Behandlungsmöglichkeiten und die Möglichkeiten finanzielle Unterstützungen zu erlangen. Etwa 80 Prozent der Patientenorganisationen unterstützen Betroffene und Angehörige bei Behördenwegen, nicht zuletzt auch im Zusammenhang mit den Krankenversicherungsanstalten. Entsprechend repräsentativ ist das Bild, das diese Gruppen und Organisationen von den Problemlagen bei der Kostenerstattung für Arzneimittel, Therapien und Rehabilitation zeichnen. Insgesamt wird das Auftreten von Problemlagen von den Akteuren der Selbsthilfe als mäßig oft (39 %) bis häufig (39 %) eingestuft. In konkreten Zahlen kann man von etwa 150 Fällen pro Jahr bezogen auf die, in der Umfrage vertretenen, 28 seltenen Erkrankungen sprechen. Annähernd die Hälfte aller Befragten erfährt von ein bis zwei Fällen im Quartal. Da nach wie vor viele Erkrankte keinen Kontakt zur Selbsthilfe pflegen, ist hier von einer hohen Dunkelziffer auszugehen.
Als eines der nach wie vor drängendsten Probleme wurde in der Mitgliederbefragung die mangelnde Expertise der bewilligenden Ärzte genannt. Die Gründe hierfür liegen auf der Hand: Derzeit spricht man von 8.000 bekannten seltenen Erkrankungen – eine Zahl die infolge der Fortschritte in der humangenetischen Forschung stetig nach oben revidiert wird. 80 Prozent dieser Erkrankungen sind genetisch bedingt und treten häufig bereits im Kindesalter auf. Darüber hinaus sind sie meist chronisch, in vielen Fällen multisystemisch und progressiv. Hinzu kommt, dass nicht jeder Betroffene äußerlich auch als krank wahrgenommen wird. Aufgrund dieser Komplexität sind Betroffene und Angehörige immer wieder mit Nichtwissen, Verharmlosung und Fehleinschätzungen konfrontiert. Nicht selten sehen sich die Patienten in die Lage versetzt, Beweise für die Schwere ihrer Erkrankung in Form von Arztbriefen, Gutachten und Studienmaterial vorlegen zu müssen, welches aber auch nicht immer Anerkennung findet.
Ein ebenfalls häufig genannter Problemkreis betrifft die Erstattung von Heilbehelfen und Hilfsmitteln. Menschen mit seltenen Erkrankungen sind vielfach auch Menschen mit Behinderung. So sind etwa 70 Prozent der Betroffenen sensorisch oder motorisch eingeschränkt und zum Teil auf Heilbehelfe und Hilfsmittel angewiesen, um ihren Alltag zu bewältigen. Diese dienen in manchen Fällen ebenso der Prävention von Gesundheitsschäden, wie der Zustandserhaltung oder ermöglichen den Erhalt der Selbständigkeit.
Bewilligungen im Zusammenhang mit Wachstum und Jahreszeitenwechsel (z.B. Rollstühle, Korsetts, Orthesen und orthopädischer Schuhe), die Erstattung von Mundhygiene, Zahnprothesen und Implantaten, das Heranziehen des durchwegs veralteten (Kriegs)Invalidengesetzes zur Einstufung körperlicher Einschränkungen, sowie die zum Teil hohen Selbstbehalte (z.B. mehrere tausende Euros bei elektrischen Rollstühlen) gelten mit als die größten Hürden für Betroffene. Darüber hinaus haben Unterschiede in der Erstattung zwischen den einzelnen Gebietskrankenkassen hier eine Bandbreite von bis zu 100 Prozent und können im schlimmsten Fall zum Wohnortswechsel führen.
Da einige seltene Erkrankungen mit Einschränkungen bei der Aufnahme von Nahrung und Nahrungsbestandteilen einhergehen, besteht immer wieder auch die Notwendigkeit zur Supplementierung. Als Erstattungshindernisse wurden hier vor allem fehlendes Wissen über die Erkrankung („Geben Sie dem Kind mehr Obst und gehen Sie an die frische Luft“), das Fehlen bestimmter seltener Erkrankungen bzw. Supplemente im Erstattungskatalog und die Abgrenzung hin zu den (nicht erstattungsfähigen) „Lebensmittelzusätzen“ identifiziert.
Zustandserhaltung und Symptomlinderung ist bei vielen seltenen Erkrankungen das (derzeit) einzig mögliche Ziel von Behandlungsansätzen. Behandlungen mit „zu geringem“ Therapieerfolg werden allerdings zum Teil auf Basis einer subjektiven Definition von Erfolg abgelehnt. Berücksichtig wird dabei kaum, wie sich auch minimale Verbesserungen bzw. die Verhinderung von Verschlechterungen auf den Alltag und die Lebensqualität von betroffenen Familien auswirken können.
Die Frage der Erstattung hochpreisiger Medikamente fand in der Umfrage schließlich in Form der ebenfalls diskutierten Heimtherapie seinen Niederschlag, da diese bspw. für Patienten mit Enzymersatztherapie eine Möglichkeit darstellt. Ablehnungen in diesem Bereich sind selten medizinisch begründet, sondern hängen vielmehr mit den unterschiedlichen Kostenträgern (Krankenhaus versus Krankenversicherung) zusammen. Bei der Therapie im Krankenhaus ergeben sich klare ökonomische Nachteile, wie die vergleichsweise hohen Kosten für Krankenhausaufenthalte und Krankentransporte, mögliche Folgekosten durch nosokomiale Infektionen und psychische Belastung sowie die Nichtteilnahme am Berufsleben (BIP) in dieser Zeit. Für Betroffene und Angehörige selbst haben die häufigen Krankenhausaufenthalte weitreichende Konsequenzen wie bspw. massive Auswirkungen auf die Lebensqualität der gesamten Familie (inkl. Geschwisterkinder), regelmäßig hohe Fehlstunden in Schule und Arbeit (samt Folgen) oder die Unvereinbarkeit mit Reha, Kur, Auslandsaufenthalten oder Urlaub.
Neben den bereits genannten Problembereichen wurde in der Mitgliederbefragung auch auf Themen wie Rezeptgebühr bei Dauermedikation, auf Schwierigkeiten im Zusammenhang mit Behandlungen im Ausland (Cross Border Health Care) oder bei der Bewilligung humangenetischer Analysen sowie jährlicher Rehabilitation hingewiesen.
In der Sitzung der leitenden Ärzte der Gebietskrankenkassen am 21. März 2019 hatte Pro Rare Austria die Möglichkeit, auf die oben genannten Problemlagen aufmerksam zu machen und eine Zusammenarbeit mit der Sozialversicherung in diesen Belangen anzuregen. Das Ärztegremium betonte die Bereitschaft, auch in Zukunft den Dialog zu pflegen und gemeinsam an Verbesserungen für Menschen mit seltenen Erkrankungen zu arbeiten.